«Schreib ein Buch!»
«Reginas Texte hätten einen Roman gegeben.»
Solche oder ähnliche Kommentare zu den Berichten erreichen uns, erfreuen sehr und ich gebe zu, mit dem Gedanken zu spielen, unsere Geschichte auf ein paar Seiten zu reflektieren. Sonderbar dabei ist, dass mir das im Blog Geschriebene ganz normal vorkommt. Wir leben ja hier so. Für mich ist das der Alltag geworden. Wen, ausser den Leuten, die uns kennen, sollte es interessieren? Das überlege ich mir oft. Die treuen Seelen lesen schon jetzt mit. Wahr ist, dass im Hintergrund noch viel mehr passiert. Schreibthemen hätte es genug gehabt. Mal schauen. Ich lasse den Gedanken noch ein wenig kreisen. Im Moment ist mein Kopf besetzt.
Nicht nur mit dem Ablauf der Tage. Heute, heute waren wir zum zweiten Mal in der Schule.
In der Schule heisst, in einem privaten Raum. Zum Glück diesmal mit einem Ölradiator beheizt.
Ob die plötzliche Wärme oder der intensive Lernvorgang unserer Pädagogin den Effekt einer Popcorn-Maschine in unseren Köpfen verursacht hat, weiss ich nicht. Wir brösmeln die Buchstaben und bei jedem Erfolg knackt es im Schädel und ein heisses Wort springt heraus.
Ja, wir haben sie gefunden! Im Büro des Telefonanbieters einfach gefragt. Sofort wussten sie eine Lösung, Kontaktdaten aufgeschrieben und sie hat JA gesagt! Lia, die gute Fee, die bereit ist, mit ihren Deutschkenntnissen uns in das Land der georgischen Sprache zu führen. Sie ist konsequent, zielstrebig, aber auch scheu. Scheu, uns einen Preis für den Unterricht mitzuteilen.
Bei der Leistung locker vergleichbar mit der Übung, einem Rottweiler «Männchen» beizubringen, hätte sie das mehr als verdient. Sie meinte jedoch, wenn wir zu Georgien gehören wollen, leistet sie ihren Beitrag dazu. Basta.
Nach einer Beratung mit Einheimischen wagen wir es nicht mehr zu fragen. Ab und zu ein Geschenk, eine Pralinenschachtel mitbringen und es einfach annehmen. Heute haben wir ihr eine Flasche Sekt gebracht. Schliesslich ist Jahreswechsel. Nach dem Julianischen Kalender feiern die Georgier das Weihnachtsfest am 6. Januar und Neujahr begrüssen sie um Mitternacht vom 13. auf den 14. Januar Und das ist heute.
Eigentlich hatte ich heute vor, diesen Beitrag ganz zu schreiben, doch nun ist es eine Frage der Zeit, wann mein Handy klingelt und Zaza, unser WG-Bewohner das Mahl und den Wein am Tisch anmeldet. Dann werden wir durch den Garten rüberschwimmen. Land unter in Marani. Definitiv war der Samstag, an dem unserer Umzugsgut angekommen ist, die letzte Chance für das Abladen. Danach haben der Schnee und der Regen den Boden so aufgeweicht, dass der Weg unbefahrbar ist. Unseren Helfern sei Dank: wir haben es hinter uns.
So stehen die Container da wie die Noahs Arche. Am Rande eines See, als der sich der Garten füllt und füllt. Die Schafe und der Peche mit seinem Ansabel haben sich vor dem Häuschen wie an einer Bushaltestelle versammelt und als gestern noch das Entenpaar dazu kam, wurde mir ein wenig mulmig zumute. Aber nix da! Die Container schwimmen nirgendwo hin!
Sowieso ist es mit der Noah-Geschichte ein wenig verflixt. Die Wissenschaftler halten es für unmöglich, dass seine Arche auf dem Ararat gestrandet ist. Der Meeresspiegel reicht nicht mal bis zum Fuss dieses über 5 000 Meter hohen Berges an der türkisch-armenischen Grenze. Sogar wenn heute alle Gletscher und alles Eis auf der Erde schmelzen würde, hebt sich der Meereslevel nur um einige zehn Meter. Also schon damals unmöglich. Dazu soll bei seiner Aktion der liebe Noah angetrunken gewesen sein. Naturwein soll er geliebt haben. In der Türkei und Armenien gab es keinen Wein. So nahmen Georgier auch diese biblische Geschichte auf sich. «Die Arche Noah ist in diesem Land an einem Berg namens Aratar gestrandet.»
Seltsam ist die Ähnlichkeit der Namen, aber auch, dass Onkel Google und Tante Wikipedia von diesem Berg nichts wissen wollen. Ich werde in der Bibliothek nachforschen. Also später dann, wenn ich verstehe, was ich lese.
Die Tieransammlung für die Reise auf der Arche hat sich aufgelöst. Beruhigt verziehe ich mich im Hâusi. Ein Beautywetter. Bei der Gelegenheit schaue ich nach, ob mir zwischen den Zehen schon die Schwimmhäutchen gewachsen sind. Wäre praktisch. In der Folge ziehe ich dann schon das vierte Paar saubere warme Schuhe an. Die weiteren drei warten auf besseres Wetter und damit auf die Reinigung. Voraussichtlich noch eine Woche wird es dauern.
Der Hâusi hat sich – überraschend – vor vier Wochen wieder festgefahren. Ruht im Kiesbett, dient weiterhin als Zuflucht und wartet auf seine neue Aufgabe als Gästehâusi. 😉
Mit der Ankunft des weissen Baucontaier ist auch die Vision von mehr Quadratmetern Wohnfläche näher gerückt. Unsere Kapitänsbrücke mit Sicht auf den Hausumbau sollte es werden, das Bauhâusi.
Ja, die Information über die Statusänderung des Grundstückes hat uns genau am georgischen Weihnachtstag, dem 6. Januar 2022 erreicht. Unmögliches wurde möglich gemacht. Was für ein Geschenk! Klar, wir werden das Geschenk selbst kaufen müssen und die weiteren Unkosten kommen noch dazu. Doch Freude herrscht, die Motivation steigt. Hurra, und ran an das Bauhâuschen! Die beim Transport eingedrückte Wand richten, abdichten, die Fugen mit Silikon ausbessern, die Wände streichen und das Bett bauen. Es soll vier Tage lang nicht regnen. Reicht.
Ernüchternd war allerdings der Blick auf das Wasser unter dem Linoleum. Trocknen lassen und gut. «Oberall heds Pilzi draa…» (Ein Lied vom Peach Weber) kam mir beim Einatmen sofort in den Sinn.
Nachdem mein Zeigefinger in dem isolierten Boden komplett verschwunden ist, war klar: nichts mit Streichen und Silikonen. Die Dinge müssen raus. Und so beschäftigen wir uns seit ein paar Tagen mit der Wand und dem neuen Boden. Die Konstruktion auf dem Dach ist zwar nicht sexy, aber nach dem Sturm in der letzten Nacht hat sich als nützlich bewährt. Das Linoleum von unten nach oben auf das Dach verlegt, Blache drüber und fertig. Gegenseitiges Schulterklopfen und weiter tüfteln. Doch ohne Auseinandersetzungen und Reibereien geht es nicht. Zuerst diskutieren, heftig diskutieren und dann läuft es.
Wenn wir schon jetzt wegen der Länge oder Breite einer Schraube zanken müssen, wie sieht es dann erst später auf dem grossen Schlachtfeld «Umbau» aus!?
Mein Telefon vibriert, also verabschiede ich mich. Bis nächstes Julianisches Neues Jahr!
… einige Tage, zwei Welpen, einem zugelaufenen Hund und Neuschnee später
So gehen wir zwischendurch auch eigene Wege. Ich als der «Baumeister Bob» im Bauhâusi, Gerold widmet sich währenddessen den wichtigen Angelegenheiten auf seinem Gebiet. Wenn ich die Manneskraft brauche, steht er mir zur Seite.
Langsam gewöhne ich mich im und ums Dorf auch an den Fahrstil der Einheimischen. Mit einer Einkaufliste im Sack steige ich in Hope – den Škoda und fahre diesmal allein nach Senaki zum Einkaufen. Senaki haben wir liebgewonnen, der Bazar ist übersichtlich, die Marktleute kennen uns und genügend Parkplätze hat es auch. Auf dem Weg dorthin halte ich bei «unserer» Wasserquelle an. «Unsere» nenne ich sie, weil wir regelmässig hier vorbeischauen, um aus der Leitung das gesunde Wasser in Flaschen abzufüllen und dabei "unsere" Hunde zu füttern. An dieser Quelle versammeln sich die Strassenhunde.
Vorbeikommende bringen Brot oder Knochen. Irgendjemand hat ein paar Hundehäuschen aufgestellt.
Dank grosszügiger Spende und dem Währungsvorteil nach meinem Aufruf in Facebook, können wir 500 kg Hundefutter besorgen, welche wir 2x mal in der Woche zu dieser Quelle bringen.
Die Vierbeiner rennen uns mittlerweile entgegen. Die Taktik, das Trockenfutter in einer langen Reihe zu verteilen, hat sich gelohnt. Es gibt weniger Auseinandersetzung. Das Schmatzen und Schwanzwedeln sind immer wieder rührend.
Ich verteile die heutige Ration, fülle die Flaschen auf und fahre weiter.
Zuerst bringe ich das japanische Messer zum Schleifen. Unsere Männer im Haus haben wer weiss was damit gekillt. Mit dem Messer in der Hand kommt mir in den Sinn: «Wenn die Polizei bei dir ein grosses Messer im Auto findet, dann hast du echt ein Problem.» Haben sie mal am Tisch gesagt.
Mit dem geschärften Messer und einer frisch geschlachteten Henne im Plastiksack verlasse ich schnell den Markt. Vorbei am ausgestellten Fleisch, den Fischen und den wie Trophäen aufgehängten Schweineköpfen. Sie schmunzeln unter ihren steckdosenähnlichen Nasen. Ich glaube, sie wussten Bescheid. Die Geschichte hat sich bestimmt in der Schweinewelt herumgesprochen.
Ich lache nämlich auch immer wieder, wenn ich an Zazas Erzählung denke. Trotz der Tragik der Umstände. Als im Jahr 1991 das Gebiet von Bomben getroffen wurde, blieb von seinem ersten Haus nur das Fundament übrig. Er musste für sich und seine Haustiere eine neue Bleibe suchen.
Mit der Kuh und ihrem Kalb, mit Plastiktüten unter dem Schwanz, fahren sie mit dem Zug in das übernächste Dorf. Der Kondukteur war ein Freund, so ging es ohne Probleme, ohne es zu ahnen, dass die Kuh vier Tage später von einem Bären gefressen werden würde. Und auch die Sau sollte nach Tiflis verfrachtet werden. Sie hatte schon eine Menge wunderbarer Ferkel geworfen. Eine sichere finanzielle Quelle, Gold wert in dieser Zeit.
Gut, dass wieder der Familienfreund den Zug begleitete.
Nur: Die Fahrt sollte 7 Stunden dauern. Wie aber bitte erklären sie einer Sau, dass sie nur leise grunzen darf und vor allem auf die natürlichen Bedürfnisse verzichten soll?
Wie sollte es anders sein, die Georgier wissen sich zu helfen. So wurde dieses Transportgut im letzten Wagen des Zuges nach Tiflis zu einer Attraktion. Sogar die Passagiere aus den vorderen Waggons wollten sich überzeugen, dass das wirklich wahr ist, was sie so gehört hatten. Und die Schweinedame? Sie schlief auf ihrem Platz friedlich und tief. Sehr tief. Sturzbetrunken. Eine ordentliche Menge Wodka haben sie ihr vor der Abfahrt verabreicht. Und Welt, wundere dich – es hat funktioniert! (Kommt der Vergleich «Kater wie ein Schwein» eigentlich auch aus Georgien?)
Seit 2016 fährt auf dieser Strecke ein Zug des Schweizer Herstellers Stadler. Aber nie mit einem betrunkenen Schwein als Passagier. Das wage ich zu behaupten.
Zurück aus Senaki, den Hope gefüllt mit Einkäufen und vor allem mit einer unglaublichen Beute: einem Ofen aus Gusseisen. Ich bin richtig stolz.
«Seit fünf Jahren haben wir hier den Schnee nicht gesehen», haben sie gesagt. Ob Petrus ein Bedürfnis hat, es nachzuholen? In den letzten Tagen schneit es um die Wette. Sobald wir den Bauhâusi einzugsbereit haben, wird der Ofen Wärme und einen Braten bringen. Erleichtert klicke ich das Messer an der Magnetschiene an. Geschafft.
Gerold hat seine Schreibarbeiten scheinbar erledigt, tanzt im Unterstand den Traktorentanz.
Meine Beziehung zu seinem Kumpel, Jahrgang 1959, ist ziemlich instabil. Leider ist der Traktor im Moment das einzige Fahrzeug, welches an dem Ar... vom Hâusi vorbeikommt, so ungünstig ist unser Freund auf dem Weg eingesunken.
Die Traktor-Cucaracha streikt. Genau dann, wenn es schnell gehen sollte, schaltet der Traktor in den «Kein Bock»-Modus. Hoffnung spendend hüstelt er bei den ersten Versuchen und wir jubeln. Er kommt!
Er steht. Oft noch 40 Minuten, prüft unser Nervensystem. Nicht nur für seine fitnessähnlichen Übungen verdient Gerold meine Bewunderung. Auch die sonst in der Ferne bleibende Geduld ist jetzt unendlich. Verschwitzt und keuchend rollt er den Strick um die Nabe, um mit Kraft und Schwung das Biest zum Leben zu erwecken.
Einmal endete die Startübung damit, dass ein Nachbar und Gerold die Cucaracha ganze 8o Meter zum Tor rückwärts stossen mussten. Dort wartete auf einem Lieferwagen eine stolze Ladung Bretter und Balken. Diese hatten wir in einem «Brocki-Bauhaus» ergattert. Ein richtiger Schatzplatz, auf dem geschäftstüchtige Georgier die demontierten Teile aus den verlassenen Häusern verkaufen.
Manche dieser Häuser werden von den jüngeren Generationen geerbt, aber nicht als Wohnsitz benutzt. So werden die Zeugen der architektonischen Geschichte und Kultur nach der Demontage verkauft. Es ist, wie es ist.
Wenn es aber gelingt und das Paffen und Blaffen im Hof ertönt, breitet sich in Gerolds Gesicht ein unübersehbares Glücksgefühl aus.
Mit wehenden Haaren, «braust» er mit der Heugümper-Cucaracha hin und her. Tatsächlich ist das Geschoss in seinem Giftgrün und mit den Lampen an den Seiten dem Insekt so ähnlich, dass es keinen anderen Namen verdient hätte. Und dank seiner Kräfte haben wir das nötige Material an der richtigen Stelle. Wie nach Plan. Also eher ungefähr.
Georgier leben planlos. So unorganisiert, wie es tönt, so effizient verlaufen ihre Tage. Sie holzen, bauen, flicken, holen dort und hier etwas. Und immer gibt es Zeit zum Berichten. Egal wann und egal wo. Ohne Eile, je nach Lust und Bedarf. Und vor allem nicht zu früh.
Vor 10 Uhr Vormittag passiert um uns herum nichts. Dann kommt der Baumeister in seinen Adidas-Badelatschen oder der örtliche Pfarrer vorbei. «Unsere» Männer schenken erst den Wein oder den Cognac ein. Das, was vom Vortag geblieben ist, wird aufgetischt. Ich greife lieber zweimal nach dem Wein, als die Schafsbockinnereien zu verspeisen. Allein der Anblick dreht meinen Magen um die eigene Achse. Der abgeschnittene Kopf schaut uns vom Schrank herunter an. Die Hörner sind mit einem Motorradlenker zu vergleichen. Sie werden später abgeschnitten und ausgekocht. Als Trinkhörner gehören sie dann zu der Luxusvariante.
Mein Unwohlsein überrascht mich. Meistens sind die einfachen kulinarischen Werke im Haus lecker und wir setzen uns gerne dazu. Unser Verdauungsapparat hat sich schnell daran gewöhnt.
Wir leben hier sehr spartanisch, Luxus hat eine andere Bedeutung. So bleiben wir auch länger liegen, schauen uns Krimis an, lesen, schreiben, lernen.
Die Pumpe im Brunnen ist eingefroren. Sputnik ist leer. Im Wasserhahn krächzt es nur. Ich schmelze den Schnee für die Morgentoilette und für das schmutzige Geschirr.
Im Schopf hole ich die frischgeschlachtete Henne vom Markt. Auf dem Baumstrunk vor der Küche hacke ich den Kopf und die Füsse ab. Dabei muss ich aufpassen, dass es nicht zwei Köpfe mehr gibt. Die Katzen sind wie besessen. Das Beil schreckt sie nicht ab. Innereien verschwinden in den hungrigen Hälsen und der Kopf ist im Nu von Lady verschlungen worden. Die Füsse rettete ich für den Roy.
Das Geflügel wird mit der Pinzette depiliert. Über den Gasherdflammen erzeuge ich mit den Federresten beim Abbrennen einen bestialischen Gestank in unserer provisorischen Küche.
Inzwischen hat Zaza mit Hilfe von heissem Wasser (aus Schnee) die Pumpe zum Leben erweckt. Die später angesetzte Suppe riecht und schmeckt himmlisch. Im Haus brennt der Ofen. Schnell tischen wir gemeinsam auf. Zaza isst nicht gerne allein. Überhaupt ist es hier ein Verbrechen, jemandem allein essen zu lassen.
So sitzen wir wieder am Tisch, schlürfen die Suppe und reden über Gott und Welt. Zazas Erzählungen und Lebensgeschichten höre ich unheimlich gerne zu. Das Allgemeinwissen
ist unendlich und wir lernen jeden Tag etwas Neues. Einfach so, nebenbei.
Auf einmal kündigt sich Besuch an. Weitere Nachbarn wünschen sich, uns kennenlernen.
Hoppala, am Neuen Jahr, in dem schmutzigen Übergewand stehe ich da. Mit zerzausten Haaren und ungeputzten Zähnen sollten wir jetzt den Sohn des Dorfarztes begrüssen? Ich glaube, Gerold hat unter seinem Hoodie immer noch den Pyjama an. Egal.
Wir sitzen gemeinsam mit dem Besuch in dem einzigen bewohnbaren Zimmer im Haus. Zaza an seinem verrosteten Ofen kocht irgendetwas. Aha, aus dem Topf ragen die abgesägten Hörner des Schafsbock. Wir stossen auf das neue Jahr an. Das Gefühl, sich schon jahrelang zu kennen, ist wieder da.
Bald gehen die neuen Freunde. Eine Plastiktüte mit Bonbons überreichen sie uns noch. Die Bedeutung dieser Tradition ist simpel: Möge dein Tag, Monat, Jahr süss werden! Auch Männer und Frauen beschenken mit diesem Wunsch die Kinder auf der Strasse. Ein herzliches Bild. Leider bedeutet «Süsses» in Westeuropa nichts Gutes. Übergewicht, Zahnkaries, nicht vor dem Essen, nicht danach, nicht im Kindergarten, nicht am Geburtstagsfest… (Moment, Pause, muss Snickers holen 😊)
Ja, unsere Freunde und Nachbarn lachen uns mit akropolisähnlichen Gebissen an.
Wenn man den Inhalt vom Naturwein betrachtet, ist es kein Wunder. Aber die 3 dl morgens früh gehören doch zu den wichtigsten Medikamenten! Absolut gesund! Sagen sie. Wir lachen zurück und sind glücklich über unser schnelles Ankommen in diesem Dorf. Wir sind im Team. Es wird über den Zaun gerufen, aus dem Auto gewunken, gehupt und wir machen mit. Schau zu dir und vor allem zu deinem Nachbarn. Gute Nachbarschaft wird in Georgien grossgeschrieben. Wenn die Sonne aufgeht, ist er der Erste, dem du begegnest und der Letzte vor dem Sonnenuntergang.
Liebe und schätze deinen schlechten Nachbarn. Denn er ist der Erste, der mit einem Eimer Wasser eilt, wenn dein Haus brennt. Zwar in eigenem Interesse – damit das Feuer nicht zu seinem Haus überspringt. Aber er ist der Erste.
Es ist spät geworden, sehr spät. Ich nutze ruhige Momente, wenn Hera und Conti schlafen. Unsere kleinen Mädchen haben wir diese Woche geholt. Plötzlich Eltern, würde ich sagen. Hera, eine starke Frau an der Seite des Zeus – wie auch Gerolds langjähriger Begleiter, der Seitenwagen heisst. Conti – Ausdauer und Entschlossenheit. Die Schäferhündinnen wurden an dem Tag geboren, als unsere Container in Marani angekommen sind. Somit ist auch der Name Conti erklärt.
Zu ihnen hat sich genau am gleichen Tag ein tollpatschiger, phlegmatischer Wuschelhund
in den Strohballen eingenistet. Zaza meint, jemand hat ihn aus dem Auto rausgeworfen. Wir werfen ihn nirgendwohin. Er bleibt, wenn er will. Und das will er.
Ich höre jetzt auf. Das Hundethema kann mit der Zeit langweilig werden.
Uns ist es das nicht. Das Geräusch aus der Kiste im Hâusis Gang ist Signal für Schuhe, Taschenlampe, Mantel und Trockenfutter im Sack und raus. Toilettieren. Es ist 2.30 Uhr morgens.
Vor dem Hâusi liegt der siebenjährige Schäferhund Roy, die neun Monate alte Lady, der noch unerforschte Balu. Und die alle fordern Aufmerksamkeit.
Aufmerksam und fit sollte ich morgen auch sein. Wir werden in die Gesellschaft eingeführt. Zwar an keinem Tanzball, sondern nehmen wir an einer Beerdigung teil. Irgendwann müssen wir mit den sozialen Kontakten anfangen, oder?
Später wollen wir an einem schönen Tag mit Olympiade anstossen. Mit der vor sieben Jahren verstorbenen Besitzerin unseres Grundstücks. Es gehört sich so und uns ist es ein Anliegen. Tatsächlich trug die Frau diesen Namen. Die Tische und Bänkli am Friedhof sind zum Verweilen da. In der Nähe von Verstorbenem wird Wein getrunken und diskutiert. Ab und zu, nach einem der vielen Trinksprüche, leeren die Anwesende den Rest aus dem Becher auf das Grab. Gauomargos – Prost, unterirdische Georgier, ist immer Zazas dritter Toast in der Weinrunde am Abend...
So, und jetzt muss ich Gassi gehen. Heute Nacht ist der Dienst an mir…
Frostige Grüsse nach Westen.
Ihr Lieben
Eure Sache ist kurz zu meiner Sache geworden. Zwei ganze Abende meiner Lebenszeit habe ich nun damit verbracht euren Blog zu lesen. Eure Zeitangaben sind ja etwas für Turboleser, daher habe ich ein wenig länger gebraucht 😉. Ich wusste gar nicht, dass auch du, Regina, eine solch begnadete Schreiberline bist. Wunderbar. Die Geschichten haben meine Georgienabenteuer wieder sehr lebendig gemacht und ich verspüre gerade stark den Drang am Gasgriff zu ziehen und das Pony Richtung Osten zu leiten.
Häbets guet dir zwöi, fröie mi uf ä nächscht Blog.
Liebschti Grüess vom Bielersee
Monika