Ist der Kater aus dem Haus, tanzen die Mäuse auf dem Tisch.
Anders in Marani.
Aus dem Haus ist Gerold – für fast ein Monat ist er in die Schweiz gereist.
Der Kater ist geblieben. Auf dem Tisch tanzt er nicht, er treibt es dort mit der minderjährigen Batzi. Immer wieder.
Mikesch hat in seinem Alter das Wesentliche dieses Tuns offenbar verlernt. So sehen die Orgien ziemlich peinlich aus. Dafür werden sie auf die schicke Art auf dem handangefertigten Esstisch ausgeübt. Ich schmeisse die zwei immer wieder über die «Stalltüre» aus der offenen Küche raus. Chancenlos. Provisorisch und für die Umbauzeiten einfach ausgestattet, ist die Küche vor Staub, Schmutz und Tieren nicht geschützt.
Marko, einer unserer ersten Gäste hat mich gefragt, ob diese Umstände für mich nicht zu anstrengend sind. Ich räumte ein, dass ich es lieber anders gehabt hätte. Dass ich den Kippschalter auf «Alles geht immer einmal vorbei» umgelegt hätte und mir ein Focus auf das «Fertige» hilft. Für einige sind meine farbigen Schilderungen, wohin welches Dekorationsstück kommt, unverständlich. Doch dank und in meinem visuellen Vorstellungsvermögen kann ich Chaos, Unordnung und Dreck um mich herum zähmen.
Ich wollte schon immer alles und vieles am besten sofort erledigt haben. Wenn nur ein wenig ging, habe ich dieses selbst gebaut, angefertigt. Nur von dem aktuellen Kuchen habe ich mir zu grosse Stücke zum Kauen abgebissen. Bei meinem Aufenthalt in Tschechien schlief ich die ersten drei Tage durch. Ich merkte meine Erschöpfung und beschloss, es nach meiner Rückkehr anders zu handhaben. Mal schauen, ob es funktioniert.
Gerold und ich haben in den paar Stunden nach meiner und vor seiner Reise Wichtiges besprochen, den Kofferinhalt ausgetauscht, in den Flugzeug gestiegen und weg war er.
Ich fuhr gleich am ersten Arbeitstag zu unserem Baumeister nach Samikao. Man könnte meinen, die Reise geht nach Japan. Aber nein, Samikao ist ein kleines georgisches Dorf mit vielen Schweinen, Kühen und Enten am Strassenrand, einer Facebookgruppe und DEM Tor. Im Versace-Stil. In Gold und Schwarz mit zwei grossen Löwen geschmückt.
Ich schmunzle jedes Mal, wenn ich vorbeifahre. Doch an dem Tag, als eine Kuh direkt in der Einfahrt ihren Bedürfnissen nachgegangen ist und unter dem starren Blick der goldenen Raubkatzen ein schwarzer Eber gerade das Rosaweibchen beglückt hat, habe ich einfach nur laut gelacht.
So sind die Georgier. Stolz und sie protzen gerne. Auf ihre Art.
Und die Georgier sind sich auch ihrer Pflichten bewusst.
So musste ich mich nach einer Woche Baustopp damit abfinden, dass die Arbeiten erst in drei Tagen fortgesetzt werden.
In der Zeit meiner Abwesenheit wollten sie der Verständigungsschwierigkeiten wegen nicht kommen. Nun fangen sie am Sonntag an. Aber zuerst ihren Nachbar beerdigen. Danach ausnüchtern. Wie immer. Irgendwann habe ich aufgehört, die Beerdigungen und «Pachmela-Ausnüchterung»-Abwesenheiten zu zählen. Bei der Tatsache, dass unsere Leute oft 9 bis 12 Geschwister haben und die Tanten der Tanten etc. zum engen Familienkreis zählen, ist mir bewusst, dass noch viele, viele Male die Bauarbeiten stillgelegt werden. Entschuldigung, es klingt herzlos, aber es ist hier einfach so.
Sonntag? Hier klemmte ich.
Nein, sonntags wird bei uns nicht mehr gearbeitet. Sonntags will ich niemanden sehen. Es ist unser Tag. Da will ich einfach im Bikini in der Hängematte liegen, schlafen etc. Nicht ständig irgendwelche Schrauben, den Kaffee oder Verbandsmaterial bringen. Sonntags einfach nicht.
Handschlag Nr. 1.
Zufrieden fahre ich zurück und direkt zu unserer Nachbarin.
Ich kann es schwer beurteilen, doch die Familie lebt im Dornröschenschlaf. Die Lethargie ist in dem Haus mit den Spuren der letzten Bombardierung im Jahr 2008 spürbar. Nur bei der Schwiegertochter, deren Mann in Polen der Arbeit mehr oder eher gar nicht nachgeht, brennt noch ein Sparflammen-Interesse in den Augen.
Ich habe sie ertappt. Wie eine Inventar-Kommission erfasste sie bei ihrem Besuch bei uns alle Geräte, über welche unsere Werkstatt verfügt und seufzte hörbar: «Eine Schatztruhe.»
Doch nicht nur ertappt, durchschaut und auch eingeschätzt habe ich sie. Sie schwimmt mit mir auf gleicher kreativer Welle. Die will ich an Bord haben. So spielte ich mit offenen Karten.
Sie soll die Woche durch zu uns kommen, die Schwiegermutter schaut zum Enkelkind. Damit sie selbst wieder ins Leben kommt, kauft sie für uns ein und kocht für uns und unsere Arbeiter das Nachtessen.
Ich gab ihnen eine Nacht zum Überlegen. Es ist mir bewusst, dass Stolz und Hilfsbereitschaft zwischen den Nachbarn hochgeschrieben wird und kostenlos ist.
Ein grosser Stolperstein. Etwas zum Verdauen.
Was für eine Wahl haben sie? In Geldnot und Mangel an Arbeitsmöglichkeiten? Sie brauchten keine Nacht. Sie haben sofort zugesagt.
Handschlag Nr. 2
Ich gehe nach Hause und falle bei 36 Grad Aussentemperatur frierend ins Bett. Die Auswirkung der zwei Stunden im unterkühlten Flugzeug auf dem Rückweg von Prag nach Hause. Ich habe mich brutal erkältet. Super Start und gleichzeitig eine Bruchlandung.
Glühwein, empfiehlt mir Zaza, der diesen Wundertrunk bei mir kennengelernt hat. Den Glühwein aus dem Naturwein zu machen und gleich eine ganze Thermoskanne zu trinken war nicht gerade das Schlaueste. Man nehme einen Liter Sauser, erhitzt, süsst und würzt… beendet diesen Satz selbst!
Montag dann ging es mir viel besser, ich verlasse voller Tatendrang den Bauhâusi.
Conti und Hera begrüssen mich stürmisch und Selapi, unser behinderter Strassenhund, welcher leider durch die Lähmung seine Darmgefühle nicht kontrollieren kann, kackt mir freudevoll in die Flipflops.
Diesen Geruch direkt am Morgen zu ertragen, schaffe ich noch nicht.
Stolpernd über die drei Fellknäuel, bewege ich mich ins Bad, um die Füsse zu waschen. Dabei erhalte ich eine ungewollte Dusche aus dem kaputten Schlauch. Schon die dritte Mischbatterie haben wir montiert. Das Wasser ist zu kalkhaltig. Fluchend ziehe ich mich um. Den Tag so anzufangen, ist nicht gerade motivierend.
Nachdem ich die Hühner und Enten aus dem Stall gelassen habe, mache mir mit schon beruhigtem Magen türkischen Kaffee. Wir nennen es Schrottkaffee. Alle Kackehäufchen und Haufen sind gesammelt, ich freue mich auf die Crew.
Es kommt Leben ins Haus. Sie lachen viel. Oft habe ich das Gefühl, dass sie streiten. Falsch. Sie sind impulsiv und laut.
Pfeifend schneide ich dann die Kartoffeln, um sie zu bräteln, dann spüre ich plötzlich was Warmes auf meinem Rist.
Oha, das grösste Messer ist runtergefallen und hat die Vene durchgeschnitten...
Na super.
Ich mache Gerold Vorträge, allein keine Geräte und Maschinen in der Zeit meiner Abwesenheit anzufassen.
Und selbst schaffe ich es, mich beim Kochen ausser Gefecht zu setzen.
Doooooof.
Die Flipflops sind nicht wirklich Suva-konform, aber der Arbeitstag hat doch noch nicht angefangen. Wieder was gelernt.
Da ich unsere Werkstatt und das Einfahrtstor mit je einem Hängeschloss versorgt hatte, musste ich die 100 Meter vom Haus durchhumpeln, um die Crew reinzulassen.
Grosses Entsetzen, aber auch Freude über die Bratkartoffeln herrschten in den ersten Minuten. Ja, sie sind wieder da und nein, Autofahren können sie nicht.
Nach dem ich selbst den Zement in Samtredia besorgen musste, lag ich mit pochenden Schmerzen im Fuss schon um 14.00 Uhr im Bauhâusi flach. Wie gut, dass sie alle durch Miranda und ihre Schwiegermutter versorgt werden, war einer meiner letzten Gedanken.
Ich wache in einem regnerischen Tag auf. Die Crew musste ich holen. Eine Stunde Fahrzeit mit der Kutsche bei diesem Regen ist reine Zumutung und ja, ich will sie hier haben. Arbeiten ist angesagt.
Immer noch hinkend mache ich dann das Frühstück und fahre los, um die nächste Ladung Zement zu besorgen. Sie schaffen es immer wieder, irgendetwas Fehlendes zu finden.
So organisierte ich eine Rikscha für den Transport und kaufte 20 Säcke zu 40 kg auf einmal ein.
Unser Skoda ist nicht nur von allen Seiten mit Kratzspuren verseht, den Sand und anderes Baumaterial auf den Sitzen kriegen nur die Waschanlagen-Spezialisten raus.
Ich fuhr der kleinen Rikscha voraus und beim Blick in den Rückspiegel befürchtete ich, dass es nie ankommt. Die Räder in der Stellung «X-Bein», fährt der 140-Kilo-Mann die 800 kg Zement nach Marani.
Unglaublich, aber die Säcke liegen unter dem Vordach, zum Entsetzen des Baumeisters.
«So viel, Regina, das brauchen wir nicht!» Bis heute, zwei Monate, später waren es noch sicher 50 Säcke, die wir gebraucht haben.
(Als Beispiel füge ich hinzu: wenn es Schleifpapier zum Verputz schleifen braucht, soll ich 40 cm Länge bringen, um am nächsten Tag das Gleiche kaufen zu müssen. Wenn ich aber direkt 1 Meter kaufe, wird es reklamiert.)
Auch in diesem Bereich will ich Ordnung haben. Ich verlange nach jedem Frühstück, die Einkaufsliste zu erstellen und fahre dann los, um alles zu besorgen und danach wird gearbeitet.
Das Besorgen verläuft nicht immer so, wie ich es mir vorstelle. Da kann es passieren, dass die Produktion der Treppenstufen aus Beton des Regens wegen eingestellt ist. Kein geschützter Platz zum Trocknen. Dagegen, wenn es dann nicht regnet, keine Ziegelsteine hergestellt werden können, weil es nicht regnet – kein Wasser vorhanden. Die fünf Herumstehenden oder auf dem Palett liegenden Männer haben die Wasserquelle nur 400 Meter entfernt, aber ja, wir müssen auf den Regen warten.
In dem Laden mit der grössten Tapetenauswahl hörte ich: «Den Leim-Kleister führen wir nicht im Sortiment.» Ich schüttle nicht mehr den Kopf. Bezahlte meinen Einkauf und dachte, wie seltsam war es. Der Herr ist im Laden allein.
Nachdem ich im nächsten Laden die Bedienung mit der Einkaufsliste überfallen habe, ging dieses Szenario los:
Der Herr nahm das Verlangte aus dem Regal, schreit dem anderen Herrn hinter dem Plexiglas-Schalter die Nummer des Strichcodes zu und legte die Ware in einen Plastiksack.
Bei 20 diversen Werkzeugen und Material intervenierte ich und wehrte mich gegen weitere Tüten. «Ein wenig kulturell» meinte er und legte eine Dose Silikon in eine weitere Plastiktüte. Ein zweiter Kunde erschien im Laden, wurde auf die gleiche Art und Weise bedient. So gab es nur lautes Geschrei und eine enorme Menge Strichcode-Zahlen in der Luft.
Um den Zement aufzuladen, wird extra ein weiterer Herr via Telefon herbeigerufen.
Ich ging zu dem Plexiglas und hier bekam ich einen A-4-Lieferschein ausgedruckt. Mit diesem mache ich zwei Schritte nach rechts. Dort, in einem «Häuschen» ruht die Dame, welche von mir das Geld will. Ich zahle mit 100-Lari-Noten. Was sich als kompliziert erweist. Selten verfügen die Läden über Wechselgeld. Wenn es nicht anders lösbar ist, schauen die anwesenden Mitarbeiter in die eigenen Portemonnaies und legen den nötigen Betrag zusammen. So zahlte ich mit der Kreditkarte….
Ich liebe das auf Georgisch Gezwitscherte unter der Laube. Ich verstehe zwar nur einige Bruchteile davon, aber es hebt die Laune. Das Wetter spielt mit, die Arbeiten schreiten voran. Die Rolle einer Bauherrin fühlt sich meistens gut an.
Überhaupt schlüpfen Gerold und ich in diverse Rollen und ich muss sagen, wir meistern sie mit links. Meistens.
Investoren, Architekten, Planer, Bauleiter, Designer, Künstler, Lieferanten, Transportunternehmer, Dolmetscher und Psychologen in einem. Wir sollten uns auf die Schulter klopfen. Wer macht uns sowas nach? Doch im Alltag denkt keiner von uns an diese enorme Leistung. Wir funktionieren, rufen uns gegenseitig nur Kurzbefehle zu.
Manchmal verstehen uns die Leute nicht.
Diesmal wurden 42 Karetten Sand und Kies geholt, auf dem Vorplatz ausgeladen und mit einer Menge Wasser vermischt.
Beton für den Boden im Aufenthaltsraum, den Boden im Unterstand, die Sommerküche. Das alles hat eine Menge von Hand gemischtem Beton verschluckt. Die Mischmaschine steht still. Die Mischmaschine ist für Mädchen. «Für Mädchen», haben sie gesagt. So beschliesse ich, mit Miranda eine Ruine im Garten zu bauen.
Die Maschine dreht und dreht, wir verzaubern den Chef des Umbaus am örtlichen Kulturzentrum mit unseren Komplimenten und holen mit dem Skoda eine Menge alter Ziegel ab.
Yes! Die Ruine steht, wie der Betonboden liegt. Diese Fläche ist versehen mit unzähligen Katzen- und Schäferhund- Spuren, die in der Nacht wie gewöhnt, durch das Haus rennen.
Es macht einfach Freude, später am Abend allein einen Rundgang zu machen.
Vieles ist getan.
Ich habe – erstaunlich – keine Angst, allein hier zu sein. In der Schweiz verriegelte ich alle Türen und Fenster, wenn ich allein war. Hier streunen die Schakale, Hunde etc. Man erzählt mir ständig, wie ich aufpassen soll.
Still ist es geworden bei uns in Marani. Die Crew braucht ein paar Tage für sich, ihre Tiere und Felder. Ich persönlich schreibe es auch dem zu, dass ich hier ohne Mann allein bin und sie könnten ins Gespräch kommen.
So schmiede ich Pläne, was ich alles mit Miranda bauen und veredeln werde. Mit den Hunden fahre ich zum Fluss, um flache Steine für das Treppenmosaik zu sammeln.
Doch Petrus hasst mich. Wenigstens kommt es mir so vor. Es regnet schon seit einer Woche und ich habe langsam genug.
Abends steige ich ins Bett, das sich wie durchgeschwitzt anfühlt. Morgens ziehe ich feuchte Kleider an. Alles nass und dreckig. Die gewaschene Wäsche hängt miefend auf dem Balkon.
Am Abend schalte ich im Bauhâusi die Ölheizung an. Ein wenig Wärme tut gut. Ich tröste mich mit einer Flasche Prosecco. Also habe ich vor. Ich ziehe die Aluverkleidung am Flaschenhals ab und versuche, die Drahtfassung für den Plastikzapfen zu entfernen. Sie ist verrostet und verklemmt. Also nein, die Zangen und wenn nötig auch den Rostumwandler in der verschlossenen Garage hole ich garantiert nicht.
Ich liege im Bett und an meinem Gaumen klebt eine Praline. Die Nr. 5.
Ich habe die Schachtel «Grazia» beim Aufräumen gefunden. Gerold verzeiht mir, die 25 Stücke der kleinen Sünde waren wie abgezählt. Eines seiner Geburtstagsgeschenke.
25 Tage ist er weg. Also, jeden Tag ein Stück. Nahm ich mir vor.
Auf dem Dach des undichten Bauhâusi landen wieder die ersten dicke Tropfen.
Durch die Metallkonstruktion verstärkt sich das Geräusch und ich komme mir wie unter Beschuss vor. Dazu fegt ein starker Wind durch die Kronen der 100-jährigen Bäume.
Ich versuche zu schlafen, doch in meinem Gehirn rattere ich eine imaginäre Checkliste durch. (Die Praline klebt immer noch.)
«Alle Türe und Fenster zu?» - «Wenn vorhanden, ja.»
«Hühner etc. versorgt?» - «Ja»
«Haben Conti und Hera einen trockenen Platz zu Verfügung?» - «Ja»
«Hält die Plastikplane in der provisorisch zugedeckten Dachlücke, wo ein seit zwei Monaten bestelltes Fenster eingebaut sein sollte?» - «Mal schauen»
Eigentlich könnte ich ruhig einschlafen. Eigentlich. Doch Petrus fährt eine Stufe höher auf. Ich gebe zu, ich habe Schiss.
Es donnert und blitzt unkontrolliert, unendlich und untröstlich um mich herum.
Plötzlich geht die Türe auf. Unsere zwei Fell-Ladys stürmen rein und mit angelegten Ohren überfallen sie mich.
Es lässt sich nicht beschreiben, wie das Bett und ich aussahen. Nicht nah genug konnten sie heranrücken. Voller Angst drücken sie sich an mich. Das einzige trockene ist der unzugängliche Prosecco
«Semi dry».
Ich sass im Bett, die zwei nassen Hunde mit je fast 30 Kilo an meiner Seite und überlegte, welches von den verfügbaren Unterkünften geerdet sei.
Haus – nein.
Bauhâusi – nein.
Nur der Hâusi, einsam im Garten stehend, verfügt über den nötigen «Käfig».
Also, das Bettzeug zusammenrollen, im Regen in der Begleitung von zwei nassen Hunden rüber rennen, umziehen, anziehen? Auf das Ganze habe ich aber nicht die Lust.
Mit der Zungenspitze die Praline bearbeitend schlief ich unter dem Gemetzel am Himmel doch noch ein.
Am Morgen war die Praline weg (ich habe vermutlich die Nacht durchgearbeitet), ebenso wie der Sturm und die Wolken. Ich schlief an den äussersten 10 Zentimetern unseres Doppelbett, Conti und Hera waren glücklich und sichtbar erholt. Ich dagegen spürbar verkrampft.
Ich beginne das Tagesritual. Heute ohne vollgekackte Flipflops. In unserem Sumpfgebiet lässt es sich nur in Gummistiefeln bewegen.
Ich sollte nach meinem «Kugelfisch», der Glucke im Hühnerstall, schauen. Heute ist es genau 21 Tagen her, seit ich unter ihren Köper zwölf Eier gelegt habe.
Schon bei der Betrachtung der Eierschalen stieg mein Puls an.
«Wir haben Nachwuchs bekommen!» dachte ich und inspiziere das Nest. Die Henne verteidigt ihre Kinder, ich gebe nicht auf.
Genau sechs kleine Piepser schauen mich an und ich bin überwältigt. Unsere ersten Küken, die ersten in meinem Leben überhaupt. Ich bin nervös, weiss nicht genau, was machen und so entferne ich die Schalen und bewege mich wie auf Wolke 7 zur Küche. Im Thermomix, unserem Multigerät, mixe ich mit Riesenlärm und Karacho Mais zu einer Küken - verträglichen Masse.
Mit Wasser und Futter bewaffnet, versorgte ich vorsichtig und gerührt das Federvieh. Jetzt bin ich gefangen. Jetzt bin auch ich eine Glucke.
Und so komme ich mir auch vor, wenn Zazazas* Neffen und Nichten zu Besuch kommen. Ich sollte sie alle bemuttern.
Ich habe ihn für einen Auftrag geholt, er arbeitet lieber allein. Ständig unter dem strengen Blick der 12-jährigen Lizi, erledige ich meine Arbeiten.
Ich zwei Schritte nach links, sie auch. Ich im Garten, sie zieht wie ein Schatten nach.
Beim Versuch, sich zu verständigen, kommt es dank Google-Übersetzer oft zu interessanten Informationen. Als ich den 15-jährigen Gia fragte, was mit seinem hinkenden Bein passiert ist, lese ich auf dem Display «Meine Prostata schwillt in den letzten Tagen ständig an.» Das wollte ich echt nicht wissen.
Was ich aber weiss, ist der genaue Ablauf ihres Besuchs: Erst winken sie und lachen. Nach zehn Minuten verziehen sie das Gesicht und zeigen mit den Fingern, ob sie was trinken können.
Sie wissen, dass es noch Fruchtsäfte von Gerolds Geburtstagsfest hat. Sie holen selbst die Chickas – Gläschen, dabei schnappen sie ein Kaugummi aus der Schachtel in der Küche. Danach greifen sie nach dem Ball und spielen im Garten. Die feine Hängematte fliegt durch die Luft.
«Ruhig Regina, sie beissen nicht, sie wollen nur spielen» dachte ich im Bett, wohin ich mit einer Ausrede geflüchtet bin. Ich kann eigentlich dankbar sein, dass nicht alle Kinder vom Zazazas Bruder bei uns aufgetaucht sind. So hätte ich im Garten ihn und 7 Zwerge gehabt. Ich nehme mich zusammen und gehe raus.
Lizi, die mir schon x-mal fleissig zur Hand ging, schleicht um mich herum und macht mich mehrmals auf ihre schmutzigen Haare und Hände aufmerksam. Immer wieder. Heute habe ich eine lange Leitung und begreife ihre Andeutungen nicht. Erst wenn Zaza fragt, ob sie duschen kann, ist mir klar, warum sie schon von Anfang an mit einem Plastiksack erschienen ist.
Es macht mich stutzig und traurig gleichzeitig.
Wir sind doch kein öffentliches Bad wie in Tbilisi! Jedoch möchte ich das 12-jährige Mädchen nicht enttäuschen. Sie war so oft für mich da. Es geht um nichts, nur um warmes Wasser in der Dusche. Mehr nicht. Aber es geht auch ums Prinzip. Bald kommen sie alle mit der gleichen Frage, befürchte ich.
Es machte mich traurig, dass eine solche Selbstverständlichkeit für uns, für manche hier im Dorf ein Luxus ist. Dabei ist unser altes Badezimmer umbaubedürftig.
Nach ein paar Runden Skip-bo-Kartenspiel sind sie nach Hause gegangen. Ich verriegelte das Hängeschloss am Tor und will noch ein wenig kreativ sein.
Schon am Morgen habe ich mit Miranda die alten Holzstühle abgeschliffen und bemalt. Sie wurde mutig und brachte vom Garten ein paar Blätter der Hanfpflanze. Mit einem Spray brachte sie den Umriss auf die Sitzfläche. Das Gewächs habe ich stehen gelassen, unser Mitbewohner hatte sie vermutlich in den letzten Jahren gesät. Für mich ist das Ding einfach eine schöne Pflanze. Eine wie alle anderen. Einmal habe ich ein Zug vom Joint probiert. Danach nie mehr. Sagt mir nichts. Das Ding wächst hier einfach so. Aber jedem das seine.
Gerold liebte seine Koi über alles. So entstand bei mir die Idee, ein kleines rundes Tischlein mit Fisch und Lotusblüte zu verzieren. Mit einem Mosaik.
Extra fuhr ich nach Kutaissi, um die passenden «Keramikplatten» zu kaufen.
An diesem Abend war es schön warm, ich geduscht, nur im Slip, Gerolds T- Shirt und in meinen geliebten Flipflops stand ich auf der Bauhâusi-Terrasse. Mit der Klebermischung, Spachtel und dem sorgfältig zusammengesetzten und vorbereiteten Mosaik. Die Ruhe um mich herum verstärkte mein Gefühl: Zwar noch nie gemacht, aber es kommt gut. Das war ich mir sicher.
Genau in dem Moment, in dem ich den Plattenkleber auf dem Tisch ausgeteilt und die ersten Mosaikscherben gelegt hatte, merkte ich die 22(!) Anrufversuche auf meinem Telefondisplay. Meine Fee Miranda schreibt via Messenger «Regina, die Polizei macht eine Razzia! Sie haben den Zaza mitgenommen! Sie suchen nach Hanf! Wenn jemand mehr als 10 Pflanzen im Garten hat, wird er verhaftet!!! Ich war doch heute im Garten! Ich habe Angst um dich!»
Och, was jetzt!? Danke, ich bringe es in Ordnung.
Mit dem kleinen Lichtstrahl meines Handys versuchte ich, die Pflanzen auszureissen. Ja nicht auffallen. «Haha, Regina. Keine Chance.» Also zurück, den Garagenschlüssel holen, die Zangen und die Scheren, um das Unkraut zu eliminieren.
Meine Arme sind voll von dem Zeug, einige der Pflanzen haben einen Durchmesser von 6 cm und eine Höhe von 2 Metern überschritten. Doch ich habe sie in die Knie gezwungen. Wortwörtlich auf meinen Knien.
Es ist halb 11 Uhr in der Nacht. Die Arme voll Gestrüpp, stehe ich in der provisorischen Küche mit der Absicht die Pflanzen zu zerschneiden. «Aber wohin dann damit!? Ins Hâusi? Container? In die Abfallsäcke stopfen?»
Was, wenn sie Hunde dabeihaben! Sie werden alles finden, mich verhaften, ausweisen und dann? Das Szenario läuft parallel in meinem Kopf, während ich mich im Kreis drehe.
Unser Nachbar hat gerade seinen Urwald hinter dem Drahtzaun gemäht. Dort kann ich das Zeug nicht hinschmeissen. Zu den Kaninchen, unter die Brennnessel bei den Hühnern? Versuche es. Oh nein, es ist einfach viel zu viel in meinen Armen.
Also zurück. Ich stehe wieder in der Küche. Wow! Ich hab’s! Vorgestern haben wir selbst gemäht, gestern den Kaninchenstall gemistet. Es gibt einen grossen Haufen dort am Zaun. Immer noch im Slip, nur noch ein Jens Hemd überworfen, die Beine inzwischen von den Brennnesseln verbrannt, von den Brombeeren verkratzt, beuge ich mich über den Komposthügel. Keine Zeit, die Gabeln zu holen! Ich buddele in dem warmen Haufen und grabe alles, ja auch die Kaninchen Kacke weg. Meine weissen, herrlichen Nägel aus dem tschechischen Beauty-Studio erweisen sich als nützlich. Ich schmeisse die Riesenmenge des «Grases» runter auf den Boden, decke es sorgfältig wieder zu. Alles in der Dunkelheit. Hm, lecker-schmecker duftend gehe ich den Kontrollgang erledigen.
Ich habe es geahnt. Durch mein verwirrtes Hin und Her habe ich viele von den Blättern verloren.
Währenddem am Tor ein Fahrzeug mit Blau-Rotlicht angehalten hat, entdeckte ich noch 15 weitere, jedoch kleinere Pflanzen in einer Ecke des Gartens. «Das wars Regina,» dachte ich. «Reiss die alle raus und schmeiss sie einfach auf den Komposthaufen.»
Erledigt.
Im letzten Moment kamen mir die Stühle in der Garage in den Sinn. Die wunderbar abgedrückte Hanfblätter auf der Sitzfläche. Mit letzten Kräften drehte ich sie um und mache den Kontrollgang nochmals.
Ich laufe zurück zum Bauhâusi und stelle fest, dass das Polizeifahrzeug weg ist. Hat es das Hängeschloss am Tor ausgemacht? Kein Licht im Hof? Keine Ahnung. Ich bin Fix und Foxi, aber ich habe da noch die angefangene Arbeit.
Mittlerweile ist die Klebmasse für das Mosaik eingetrocknet.
Mein präzises Schema und das Bild haben sich komplett verzogen. Der Fisch hat eigenartige Proportionen erhalten. Da die Hanf-Aktion ihre Zeit gebraucht hat, klebt jetzt alles so fest, dass ich keine Chance mehr habe, die Teile zu verschieben, anzuheben oder sonst wie zu korrigieren.
Ich wollte der Fee Miranda noch eine entwarnende Nachricht schicken, da entdecke ich, dass unser mobiles Internetkästchen Huawei – sogenannter Judihui – fehlt. Bestimmt ist es bei den Erntearbeiten aus der Brusttasche des Jeanshemdes rausgefallen. So laufe ich kurz vor Mitternacht durch den Garten. Mit meinem Handy wie mit einem Detektor suche ich nach dem Wifi-Signalzeichen. Nach erfüllten 30 Minuten zeigt sich der Fächer aus drei Strichen in voller Pracht und ich habe genug von Action und Aufregung. Ich lasse alles stehen und liegen, die Klebermasse, den Spachtel, ich lasse alles verhärten und falle ins Bett.
Ich verschlang die restlichen Pralinen, trank den Chacha-Schnaps direkt aus der Plastikflasche und am Schluss lachte ich erleichtert über die Szenen der vergangenen Stunden.
Der Fisch und überhaupt das Tischlein selbst bekamen somit ihre eigene Geschichte.
Zaza habe ich lange nicht gesehen. Später dann erzählte er mir, wer ihn und weitere Personen im Dorf verpfiffen hat. Ja, wir leben in einem Dorf. Schnell kommt man ins Gespräch. Und in vielen Gesprächen unserer Freunde hörte ich später ein klares: «Ja, ich habe gedacht ich muss dir sagen, dass Hanf zu pflanzen bei uns verboten ist.»
Wisst ihr was?! Ihr könnt mich mal!
Ein Monat verflog wie im Traum.
Ich schätze das Vertrauen, den Umbau zu führen und nach meinem Denken selbst entscheiden zu können.
Ich habe vieles erlebt und erledigt – mal war es mir zum Weinen, mal habe ich von Herzen gelacht.
Nun ist der Deckel vom WC wieder immer zu, die Messer werden von Hand abgewaschen, die akustischen Merkmale weisen darauf hin, dass wieder ein – mein – Mann zuhause ist.
Wir rufen uns wieder die Kurzbefehle zu, zanken und streiten, aber teilen uns auch die diversen Aufgaben auf.
Dann, am Abend, versuchen wir im Bett Krimis zu schauen. Ich persönlich kriege die ersten 10 Minuten mit, drehe mich um und weg bin ich. Am Morgen bekomme ich wieder den Kaffee ins Bett. Eine schöne Aufmerksamkeit, die mir hilft, in den Tag aufzustehen…
Danke Gerold.
Oh ja: eines Tages kam über das Feld ein kleines Kätzchen zu uns. Ein Junge ist es. Verblüfft schauen wir alle zu, wie sich unser Kater mit ihm beschäftigt. Ihn wäscht und mit ihm spielt. Mikesch ist Vater geworden!
Die Orgien auf dem Esstisch, so lächerlich sie sein sollten, haben Früchte getragen.
*In unserem Umfeld gibt es 4 Zaza, so haben wir einige umbenannt:
- Unser ehemaliger Mitbewohner Zaza
- Hilfsarbeiter Zazaza
- Traktor Zaza
- Reparatur Zaza
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